Indien zum ersten Mal - Two wheels one life

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Indien zum ersten Mal

Reisen
Ich sitze im Flughafen von Mumbai, während die Sonne langsam auf der anderen Seite des Flughafens auf geht. Seit 20 Stunden bin ich nun unterwegs und schaue müde auf das Vorfeld und warte auf meinen Flug in 4 Stunden nach Indore.

Es ist meine erste Reise nach Indien und somit ein ganz neuer Einblick in eine andere Kultur und Lebensweise, worauf ich sehr gespannt bin. Ich weiß nicht genau was mich erwarten wird auf den Straßen Indiens. Bisher kenne ich nur die Berichte einiger Kollegen, diverser Reportagen und einiger Reisebücher wodurch sich ein kleines doch leider auch meist nicht so schönes Bild dieses Landes erstellen lässt. Doch jeder hat seine eigenen Vorstellungen, Erwartungen und Empfindungen bei Reisen und so versuche ich mir unvoreingenommen mein eigenes Bild von Indien zu machen.

Meine erste Begegnung war gleich im Flieger von Istanbul nach Mumbai. Eine ältere Dame mit Gehilfe setzte sich neben mich und wenn das nicht schon genug war, wurde sie auch noch durch eine Halskrause eingeschränkt.
Als ich mich von einem Film beim Einschlafen berieseln ließ und noch einmal zur Wasserflasche griff, bemerkte ich sie aufrecht, leicht hilflos auf ihrem Mittelplatz sitzen. Bevor ich sie ansprechen konnte nutzte sie ihre Chance, tickte meinen Arm an und fragte ob ich sie kurz raus lassen würde. Ich merkte ihr an, dass sie keinen von uns links und rechts neben ihr wecken wollte und sagte ihr, dass sie mich selbstverständlich jederzeit wecken könne, da ich sowieso nicht richtig schlafen könne. Dankend ging sie an mir vorbei und als sie von der Toilette wieder kam, fragte sie mich interessiert ein wenig aus. Eigentlich wollte ich versuchen zumindest ein wenig zu dösen mit dem Wissen, dass wenn wir Landen noch ein ganzer Tag vor mir liegt. Trotz alledem unterhielten wir uns eine Weile. Ich erzählte ihr, dass ich aus Deutschland komme und beruflich zum ersten Mal nach Indien fliege. Dass mein Ziel Indore sei und mein Aufenthalt in Mumbai sich auf dem Rückflug maximal auf einen Abend beschränken würde. Sie selbst lebe in Mumbai und hat noch Familie in Pune so wie in den USA, wo sie gerade ihre Kinder besucht hatte. Bevor ich  fragen konnte wo sie dort gewesen war und wie lange ihre Kinder dort schon leben und und und, ging auch schon der Trubel zum Landeanflug los und so verabschiedeten wir uns mit dem Wunsch einer guten Heim- beziehungsweise Weiterreise. Ihrer Ausstrahlung zu folge gab sie mir das Gefühl, dass sie sich über die Unterhaltung gefreut hatte und ich sie so vielleicht sogar ein wenig von ihrer Halskrause abgelenkt habe. Für mich auf jeden Fall eine freundliche erste „indische Begegnung“.

Während ich gerade von meiner ersten Begegnung schreibe, schaue ich immer wieder auf das Vorfeld und beobachte das Geschehen rund um die Flugzeuge. Die Mitarbeiter des Flughafens unterhalten sich zwischen den Bussen, LKWs und anderen wichtigen Autos mit Blinklichtern, als würden sie gerade Pause machen. Gegenseitig schenken sie sich Getränke aus einer Thermoskanne ein, setzen sich dann wieder in ihren Bus und fahren weg oder daddeln im Schatten noch ein wenig auf ihrem Smartphone. Es wirkt alles ganz entspannt und ab und zu landet bzw. startet ein Flugzeug, welches dann im Dunst über Mumbai verschwindet. Immer wieder fahren Gepäcktrolleys über die markierten Wege. Doch mit der Einhaltung von Fahrbahnmarkierung haben sie es dann alle doch nicht so und ich bemerke erst nach einer guten Stunde, dass die Fahrzeuge hier im Linksverkehr unterwegs sind.  

Ich muss schmunzeln, denn so unvorbereitet bin ich glaube ich noch nie in ein Land geflogen.
Nur die Berichte von anderen, keine Ahnung vom Verkehr, meine „Notfall-Kreditkarte“ nicht dabei,  nicht einmal den Wechselkurs im Kopf, Sonnencreme als blasser Europäer auch vergessen und bei der Aufzählung fällt mir dann noch auf, dass der Kunde noch nicht mal meine Abholung am Flughafen, geschweige den die Hotelbuchung bestätigt hatte. Was will man mehr um ein Land und seine Leute kennen zu lernen.

Für die einen wahrscheinlich die schlimmste Vorstellung los zu reisen, doch für mich ein Grund mich zurück zu lehnen und die Sonne, welche sich immer höher über die Stadt erstreckt beim Farbenwechsel von Rot-Orange zu blendend weiß-gelb zu beobachten.

27.02.2018, Mumbai Flughafen



Alles Andere nur nicht Bollywood
Angekommen am Flughafen von Indore schaute ich ob vielleicht doch jemand kommt und mich abholt. Ich ging dreimal die Reihe der Abholer auf und ab und schaute mir jedes Schild der fragend guckenden Abholer an. Doch meinen Namen konnte ich nicht finden.
Da stand ich nun im Schutze eines Zaunes an dem ca. 40 Taxifahrer neben den Abholern standen, neben einer militärischen Patrouillie mit Maschinengewähren und der Hitze Indiens im Nacken. Nach einer guten Dreiviertelstunde und der Erkenntnis, dass der einzige Geldautomat an diesem Provinzflughafen defekt ist, hielt ich noch einmal Rücksprache mit meinem Kollegen in Hamburg, welcher mir bestätigte, dass es keine Antwort vom Kunden bezüglich meiner Abholung gibt.

Ich stieg ohne ein Rupien in ein Taxi und versuchte dem Fahrer klar zu machen wo ich hin wollte, doch er verstand mich erst als ich ihm das Hotel auf einer Offline-Karte zeigte und schon ging es los. Im Linksverkehr fuhren wir durch Indore und ich bekam die ersten Eindrücke des indischen Lebens zu sehen.  
Heuprige Straßen, Wellblechhütten, eine Lawine aus TukTuk´s, Kinder spielend am Straßenrand neben Müll und Motorradfahrern, welche ihre vierköpfige Familie transportieren. Es war ein Rausch an neuen Eindrücken.
Als wir endlich das Hotel erreicht hatten bewahrheitete sich auch meine nächste Vermutung und ich musste dem Hotelier erst einmal erklären, dass ich ein Zimmer brauche auch wen keines reserviert ist. Es kam mir vor als ob das in Indien überhaupt nicht üblich wäre oder die Herrschaften einfach nur zu bequem waren. Doch da war ja noch was. Der Taxifahrer, er saß schon knapp 20 Minuten auf dem Sofa im Hotel und wartete auf sein Geld. Also fuhr ich mit ihm zum nächsten Geldautomaten, doch wie sollte es auch anders sein: Er war Leer! Der zweite Automat bescherte mir mehr Glück und so war es mir möglich den Maximalbetrag von 2000 Rupien (etwa 25€) abzuheben und mein Taxi zu bezahlen.
Ein wenig gerädert war ich froh als ich mein Hotelzimmer am späten Nachmittag betreten hatte, dem Kunden noch einmal eine Info per E-Mail schicken und endlich duschen konnte. Nach einer mehrmals gestörten Nacht durch Anrufe vom Hotel und vom Kunden konnte ich an den nächsten Tagen meine Arbeit durchführen.

Der Weg zur Firma dauerte eine Stunde über die, nennen wir sie Autobahn. Der Weg bot mir wieder allerlei Eindrücke und so war es ganz normal, dass einem ein LKW, Motorrad oder auch mal eine Kuh entgegen kam. Die LKW´s sind bunt verziert mit allem was der TÜV in Deutschland verbieten würde. Am Straßenrand warten Männer, Frauen und Kinder teilweise auch ohne Schuhe auf einen Bus oder eine Mitfahrgelegenheit. Die Ziegen, gehütet in ihrer Herde verweilen ab von der Straße und die Kühe ruhen sich in den Städten auf dem Mittelstreifen aus. Die Straße und den Friseurstuhl in dieser Stadt trennten nur eine Armlänge und ich hätte aus dem Auto heraus ein paar unqualifizierte Tipps geben können, während auf der anderen Straßenseite die Menschen auf das Dach eines überfüllten Bus steigen. Vorbei an diversen landwirtschaftlich betriebenen Feldern, einem fast ausgetrockneten Stausee und zahlreicher Lehmsteinhersteller konnte ich in der Ferne eine große Fabrik entdecken, mein Ziel. Diesen Weg bin ich zwei mal Hin und Zurück gefahren und habe mich gefühlt wie ein kleines Kind an der Fensterscheibe, welches zum ersten mal Schnee sieht.
Der dritte Tag, mein Abreisetag und Holifestival in Indien. Es kam endlich ein wenig Farbe in diese sandfarbene Gegend. Ich war zusammen mit einem Chemiker auf dem Weg zum Flughafen und konnte wieder das Treiben auf den Straßen beobachten. Jugendliche bewarfen sich vor der Uni mit Farbpulver. Auf den Straßen feierten, tanzten und lachten ganze Familien an diesem Tag während sie sich mit Farbe bewarfen und mit Wasser nassspritzten. Es war ein schöner Anblick, da die Menschen in diesem Land für mich das erste Mal richtige Freude ausstrahlten und ihr Leben genossen. Es wirkte als würden sie alles um sich herum ausblenden und einfach Spaß haben.
Am Flughafen stellte mir Amol noch zwei weitere Kollegen von sich vor und wir unterhielten uns bis zu unseren Flügen, doch ich war sehr froh über ihre Gesellschaft. Ich war soweit ich gucken konnte der einzige Europäer auf diesem Flughafen und ich merkte wie die meisten drumherum Stehenden mich musterten und wahrscheinlich wieder Selfies mit mir machen wollten, doch meine Bekannten wirkten wie ein unsichtbares Schutzschild, welches ich einen Moment lang in Mumbai gerne gehabt hätte.
Wieder einmal stand ich in Mumbai am Flughafen, ich folge dem Taxischild und befolgte den Rat von Amol doch lieber ein Prepaid-Taxi zu nehmen. Beim Prepaid Taxi bezahlt man an einem Schalter für die geplante Route, kann noch ein bisschen Komfort wie eine Klimaanlage oder ein Großraumtaxi auswählen und bekommt ein Taxi zugewiesen. Unkompliziert, Einfach und der Fahrer kann einen auch nicht betrügen. Die Fahrt führte durch Nebenstraßen zu meinem Hotel und ich entschied mich den angebrochenen Abend für eine Sightseeingtour mit hoteleigenem, englischsprachigem Fahrer.
Drei Stunden lang fuhren wir durch Mumbai und hielten unter anderem am Juhu Beach.
Ein langgezogener Strand, welcher durch die Ebbe sehr weit bis zum Meer reichte. Tausende, ach hunderttausende Menschen konnte ich auf dem ganzen Küstenabschnitt sehen und ich wieder mittendrin. Das Holifestival war offiziell vorbei, doch es wurde sich anscheinend immer noch am Strand getroffen und die Farbe im Meer vom Körper gewaschen, gepicknickt oder sogar was getrunken. Der Fahrer hatte mir geraten Vorsichtig zu sein und beim Anblick des Menschen und Müll übersätem Strand, ein zwei Selfies mit einer Gruppe Jugendlicher und einer Familie merkte ich, wie ich gefühlt die neue Attraktion des Tages wurde.
Es bildete sich eine Traube aus unzähligen Neugierigen und Bunten um mich, welche mit mir Fotos machen oder mich mit Farbpulver ein wenig an ihrem Festival teilhaben lassen wollten. Doch dann kam der Moment als mir immer wieder an den Armen gezogen wurde und ich aufgefordert wurde mit zu ihren Familien oder Kumpels zu kommen. Ich hatte die Kontrolle über diese unzählige Menschenmenge verloren, mir fehlte mein Freiraum. Ich flüchtete aus der Menge in Richtung Straße und meinem Fahrer. Wir machten wir uns wieder auf den Weg und in Gedanken musste ich erst einmal realisieren was passiert war. Ich fühlte mich wie ein Stück Fleisch, welches den Raubtieren vorgeworfen wurde, doch ich konnte sie alle verstehen als wir ein Stück weiter an den Slums vorbei fuhren, mitten in Mumbai. Die meisten armen Menschen in dieser Stadt hatten oder werden wahrscheinlich niemals die Chance haben nach Europa oder Amerika zu fliegen, was für uns fast schon zu einem Volkssport geworden ist. Sie waren einfach nur neugierig auf diesen Europäer, welchen sie vielleicht aus dem Fernseher oder der Zeitung kannte. Die Begegnung mit einzelnen Familien war auch ganz entspannt, sie waren freundlich und es tat mir ja auch nicht Weh, wenn ich mit einem Selfie eine schöne Erinnerung bereiten konnte, aber die Masse war zu krass.
Der Weg zum Hotel führte noch an einer Promenade und an einer christlichen Kirche vorbei, wo ich mir wieder ein wenig Zeit nahm um die Stadt auf mich wirken zu lassen und Eindrücke zu sammeln.

Der Weiterflug nach Shanghai gab mir Zeit ein wenig über Indien nach zudenken.
    

Die Stufe zwischen Armut und Wohlhabend ist in Indien so heftig, dass die Einen gefühlt vor 50 Jahren stehen geblieben sind und diejenigen, welche das Glück auf Bildung, Arbeit, Geld und Leben in der großen Stadt haben, wie in einer anderen Welt leben obwohl sie Nachbarn sind.
Ich habe nun das Inland und Mumbai kennengelernt und kann meinen Bericht nur auf diese Teile Indiens beziehen, aber wie Bollywood sah es dort für mich nicht aus.

Ich bin wirklich dankbar dafür, dass ich in Deutschland aufwachsen, zur Schule gehen und meinen Beruf lernen konnte bzw. überhaupt so ein Leben führen kann wie ich es mache. Man vergisst in Deutschland immer mehr, wie gut es einem doch geht. Natürlich gibt es bei uns auch genug Probleme in der Gesellschaft, doch solange ich Motorrad oder Auto fahre, ein Dach über dem Kopf habe, Einkaufen gehen oder mit Freunden ein Bier trinken gehen kann, dann sind jegliche meiner Probleme nur Luxusprobleme.

23.03.2018, Hai'an (Jiangsu/China)



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